|
Bericht über die Chorreise 1995 ins Erzgebirge
Von den acht viertägigen Traditionsfahrten der Nagolder Kantorei
zu Beginn der Sommerferien führten nunmehr vier in die östlichen
Bundesländer: zwei nach Friedrichroda, eine nach Quedlinburg und
die diesjährige ins Erzgebirge.
Etwa 70 Sängerinnen und Sänger machten sich trotz Regen und
frühzeitigem Stau gut gelaunt auf die Reise nach Nordosten. Nur knapp
5 % der Mitreisenden (genau : drei nicht genannt werden wollende Altistinnen)
konnten bei der Einreise in die tschechische Republik keine Personalpapiere
vorweisen, wodurch die Weiterreise erheblich verzögert wurde. Ein
längerer Aufenthalt im berühmten Karlsbad diente nicht nur dem
Großeinkauf von Oblaten und billigem Kaffeegenuss, sondern auch
der Besichtigung eines auch heute noch mondänen Badeorts.
Über Joachimsthal, dessen Münzprägung einst dem »Taler«
und auch dem »Dollar« den Namen verlieh, erreichten wir schließlich
unseren Aufenthaltsort Oberwiesenthal. Im erstklassigen Hotel Birkenhof
wurde die Evangelische »Kanzlei« freundlich mit einem Kräuterlikör
empfangen und drei Tage lang gut umsorgt. Bereits am ersten Abend konnten
wir »arzgebirgisch« in Reinkultur erleben. Ein Alleinunterhalter
spielte mit seinem »Ziehkastel« und sang dazu heimische Lieder
in dem uns oft wie eine Fremdsprache anmutenden Dialekt. Am ersten Vormittag
konnte - leider bei starkem Regen - Oberwiesenthal und seine nähere
Umgebung nach Gutdünken erkundet werden. Die Fahrt mit der Schmalspurbahn
nach Cranzahl über die Station »Niederschlag« war da
ein gefragtes, meist trockenes Erlebnis. Ganz unentwegte wanderten auf
dem Fichtelgebirge.
Alle Kantoreireisen sind außer Erlebnis- und Kontaktreisen ja immer
Konzertreisen. So waren auch diesmal unsere Unternehmungen ab Freitagnachmittag
auf die abendlichen Konzerte einschließlich der notwendigen Proben
zugeschnitten. Wohl kaum ein anderes Mal durften wir in solch einmalig
schönen Kirchen singen wie in diesem Jahr: In der Pfarrkirche St.
Georg in Schwarzenberg und in der Stadtkirche St. Annen in Annaberg.
Die Kirche in Schwarzenberg aus dem Ende des 17. Jahrhunderts ist eine
kühn konstruierte große Saalkirche in anheimelndem »Bauernbarock«
mit angenehm warmen Farbtönen. Besonders interessant sind die mehrstöckigen
Emporen und Logen (Fürsten-, Rats-, Lehrer- und Pfarrerlogen). Die
obersten, als »Schwalbennester« bezeichneten Logen hängen
fast an der Decke.
Die größte und bedeutendste Hallenkirche Sachsens, St. Annen
in Annaberg, Anfang des 16. Jahrhunderts in spätgotischem Stil errichtet,
wurde durch die Großartigkeit der Anlage und den Wohl- und Nachklang
unseres Gesanges zum Höhepunkt unseres selbst gesetzten Reiseauftrags.
Die hundert steinernen Reliefs der Emporenbrüstung, das einzigartige
Sterngewölbe, die Altäre - allen voran der Bergaltar mit den
Bergwerksszenen von Hans Hesse - , auch hier wieder die warme harmonische
Farbgebung im Gegensatz zum äußeren »Festungscharakter«
der Kirche. Alle diese Eindrücke durften wir noch durch unseren Gesang
zum Lobe Gottes auf einer höheren Stufe erfahren. Das »Jauchzet
dem Herrn alle Welt« mit dem Programm unserer romantischen Chor-
und Orgelwerke wurde in jeder Kirche zum neuen, beglückenden Erlebnis.
Bereits auf der Rückfahrt am Sonntag, erfreuten wir die Kirchgänger
und uns im Gottesdienst in Rittersgrün, dem Heimatort unseres Sängers
Hans Blei, ein drittes Mal mit einem großen Teil unseres Programms
in viel bescheidenerem Rahmen, aber nicht weniger beeindruckend. Die anschließende
vorzügliche Bewirtung ersparte uns einen Aufenthalt zum Mittagessen.
Genügend Zeit blieb noch zum Kennenlernen der erzgebirgischen Landschaft
- ab Samstag bei sonnigem Wetter -, ihrer historischen und derzeitigen
Prägung. Das »Berggeschrei« begann im 15. Jahrhundert
mit bedeutenden Silberfunden. Dem Erzbergbau verdankte dieses Gebiet auch
seinen zeitweiligen Wohlstand, der beispielsweise den Bau der prächtigen
Kirchen ermöglichte. Erstaunt waren wir übrigens über die
Opferbereitschaft, durch die aufwändige Kirchenrenovierungen auch
heute noch zum größten Teil durch die eigene Kirchengemeinde
getragen werden. In einem eindrucksvollen Museum zu Bergbau und bergmännischer
Volkskunst in Schneeberg konnten wir bei einer Führung an Hand anschaulich
gestalteter beweglicher Modelle und Exponate das Auf und Ab der Geschichte
dieser Region mitverfolgen. Durch die geringe Entlohnung und die allmähliche
Unrentabilität des Bergbaus waren die Arbeiterfamilien schon frühzeitig
zu Nebenverdienstmöglichkeiten gezwungen. So entwickelte sich die
Klöppelei und die Spielzeugherstellung, dessen Zentrum wir in Seiffen
kennenlernten, von wo so manch kleineres und größeres Paket
mit nach Nagold reiste.
Am letzten Abend ging es nach dem Abendessen traditionsgemäß
noch »bunt« zu. Alfred Bott hatte erwartungsgemäß
ein dichterisch hochrangiges Zwiegespräch mit seiner Frau, das die
jüngsten Kantoreiereignisse kritisch, aber doch liebevoll darlegte.
Wohl zu seiner großen Überraschung wurde er anschließend
durch einen lobpreisenden Damenreigen zum Dichterfürsten gekrönt.
Christian Ulitz verkündete wieder einmal in launigen Versen, wie
statt der »alten Rittersleut« die »jungen Sängersleut«
bei dieser Reise warn. Schließlich mussten noch vier Mutige beweisen,
wie schnell sie erzgebirgische Dialektausdrücke erfassen und übersetzen
konnten.
Bei einem Aufenthalt in Bamberg auf der Rückreise konnten wir mit
dem Dom ein letztes großartiges Kirchenerlebnis aufnehmen. Zum Ende
dieser durchgehend harmonischen und erlebnisreichen Chorfahrt waren sich
sowohl die Chorleiter Ingo Bredenbach und Dorothee Ludwig als auch der
Chor einig, dass eine künftige weitere Steigerung kaum mehr vorstellbar
ist.
Aber vorläufig gilt es ohnehin, mit dem erzgebirgischen Heimatdichter
Anton Günther mutig zu bekennen :
daham isch daham !
H.Seitz
|