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Bericht über die Chorreise 1996 nach Slowenien
Die Kantorei als Botschafterin in Slowenien - von Alfred
Bott
Wenn die Kantorei sich Slowenien als Ziel für die Chorreise wählte,
muss das einen besonderen Grund haben. Botschafter wollen sie sein, die
Sängerinnen und Sänger mit ihrem Kantor Ingo Bredenbach, nach
Jesenice und Kranjska gora Grüße aus der Partnerstadt im Schwarzwald
überbringen und Zeichen setzen, ein Zeichen der Verbundenheit, der
Zusammengehörigkeit und des Interesses für die Menschen dort.
Jesenice, die einst so geschäftige Eisenhütten- und Stahlstadt
hat nach dem Verlust der Wirtschaftsbeziehungen zu Restjugoslawien einen
wirtschaftlichen Niedergang erlebt und kennt nun die Armut. Glücklicherweise
ist es in Slowenien vor dem Erreichen der vollen Souveränität
zwar zu Unruhen, aber nicht zum Krieg gekommen. Städte und Dörfer
haben keinen Schaden genommen. Kranjska gora, Grenzstadt am Dreiländereck
Slowenien, Österreich, Italien, und vor kurzem noch zu Jesenice gehörig,
zeigt ein völlig anderes Bild. Hotels und Pensionen bieten vor allem
den Wintersportlern gute Unterkunft und der Ort hat Ambitionen auf die
Winterolympiade in naher Zukunft, die in diesem herrlichen Ski- und Wandergebiet
grenzüberschreitend ausgerichtet werden könnte.
Wie ist diese Partnerschaft zustande gekommen? Frau Kasic, eine in Nagold
lebende Slowenin und Vorsitzende des Slowenischen Kultur- und Kunstvereins
SKUD Triglav Nagold, Sitz Nagold und Jesenice, hat die ersten Beziehungen
angebahnt. Im Jahre 1984 empfing der damalige OB Dr. Schultis eine Delegation
des Vereins aus Jesenice. Besuche anderer offizieller Stellen folgten
in kurzen Abständen. 1991, nach Erreichen der Selbständigkeit,
besuchte der neue Bürgermeister Dr. Brudar die Stadt Nagold. Damit
bahnte sich die Partnerschaft an, die dann am 9. März 1994 durch
den Kultur-, Umwelt- und Sozialausschuss unter Leitung von OB Dr. Prewo
beschlossen wurde.
In Kranjska gora, das nun zweite Partnerstadt geworden ist, waren die
Nagolder im ansehnlichen Hotel Alpina untergebracht. Der Organisator der
Reise, Stadtrat und langjähriges Chormitglied Hans Karl Joß,
hatte vorzügliche Arbeit geleistet und dabei die vorhandenen guten
Kontakte genutzt. Herr Budinek, der Leiter des Verkehrsamts, war Führer
und Dolmetscher zugleich und begleitete die Kantorei auf allen Unternehmungen.
Die Hauptstadt Ljubljana am Tage nach der Ankunft, also am Freitag, das
wollten die deutschen Gäste nicht versäumen. Auf der breiten
Treppe am Marktplatz stellten sie sich auf und ließen heimatliche
Weisen, Madrigale und Volkslieder erklingen. Sie erhielten dafür
nicht nur freundlichen Beifall der zahlreichen Zuhörer, sondern auch
hohes Lob eines Musikers von Format, dem Stardirigenten der slowenischen
Philharmonie. Welch ein Zufall! Als beim Stadtrundgang das Haus, in dem
er seinen Taktstock schwingt, passiert wurde, lud er Ingo Bredenbachs
buntgekleidete Schar ein, im Auditorium zu singen, was sie mit Stolz und
Freude tat.
Der Höhepunkt der Reise war die geistliche Abendmusik in der Kirche
von Jesenice. Der Bürgermeister der Stadt, Dr. Brudar, begrüßte
zusammen mit dem Pfarrer die deutschen Gäste und die slowenischen
Besucher, die das Gotteshaus bis zum letzten Platz füllten. Eine
junge Dame übersetzte die deutschen Texte. Mit Mendelssohns Vertonung
des 100. Psalms wurde das Konzert eröffnet. Es folgten Kompositionen
Spohrs, Bruckners, Mauersbergers und wieder Mendelssohnes mit achtstimmigen
Motetten und dem herrlichen Lobgesang des Simeon. Mit dem gewaltigen achtstimmigen
Schlusschor aus dem Elias »Denn er hat seinen Engeln befohlen über
dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen« beschloss
die Kantorei das Konzert. Nach dem Vortrag, auch nach den trefflichen
Orgelzwischenspielen Ingo Bredenbachs auf einem unbekannten Instrument,
das zunächst nicht mitmachen wollte, gab es herzlichen Beifall. Die
Augen der Menschen leuchteten vor Freude, leise Rufe der Überraschung
und Bewunderung waren zu vernehmen, der Konsens zwischen den Singenden
und den Hörenden war so, wie man es selten erlebt. Ingo Bredenbach
hatte mit seinem untrüglichen Spürsinn für Wirkung ein
auf die innere Verfassung dieser schwergeprüften Menschen mit ihren
Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen gerichtetes Programm zusammengestellt.
Ein kompetenter Nagolder Zuhörer lobte die Homogenität der Kantorei,
ihr Eingehen auf die Dynamik der beiden Chorleiter Ingo Bredenbach und
Petra Siebold überschwänglich. Auch der Chor hatte die Beglückung
der Menschen gespürt, das hatte ihn zur Höchstleistung beflügelt.
Über die Mittlerin Musik, über diese verbindende Brücke
zwischen Völkern, gelangten auch die wundervollen Texte ins Bewusstsein.
In einem Dorf nahe Jesenice war die Kantorei zum Essen eingeladen. Noch
einmal begrüßten Dr. Brudar und Kranjska goras Bürgermeister
Joze Kotnik die Gäste und bedachten sie mit Geschenken, u.a. mit
einem T-Shirt mit dem Wappen der Stadt für jeden Gast. Für diese
überwältigende Gastfreundschaft bedankte sich Hans Karl Joß.
Als Vertreter des Nagolder Oberbürgermeisters wertete er die Begegnung
als einen weiteren wichtigen Schritt aufeinander zu. Stadtrat Dr. Ulrich
Mansfeld drückte aus, was alle fühlten und was alle bewegte:
Aus der bloßen Partnerschaft ist eine Freundschaft geworden. Frau
Violetta Prewo überbrachte die persönlichen Grüße
ihres Mannes. Sehr spät kamen die Kantoristen zur Ruhe. Hier war
etwas geschehen, was noch vorhandene mögliche Vorurteile beseitigt
hat. Diese slowenischen Menschen wollen und brauchen nicht nur materielle
Hilfe, sondern vor allem Akzeptanz und Gemeinschaft. Es war spät
geworden, als man sich trennte und ins Quartier fuhr. Am anderen Morgen
lockte die herrliche Bergwelt zu einer kleinen Wanderung nach einer Fahrt
auf einer kurvenreichen, von russischen Kriegsgefangenen im ersten Weltkrieg
erbauten Straße. Aber auch am Samstag waren die Stimmen noch gefordert.
Über der Grenze warteten in Hermagor in der dortigen evangelischen
Kirche Zuhörer auf die angekündigte geistliche Abendmusik. Sie
waren dankbar und beeindruckt. Auch hier hatte die Musik Brücken
geschlagen.
Bleibt noch als vierter »Auftritt« die Mitwirkung beim Gottesdienst
in Weißbriach unweit vom Weißensee. Hier waren im 15. und
16. Jahrhundert die sich zum evangelischen Glauben bekennenden Bauern
den Bestrebungen der Gegenreformation entgangen, hatten aber unter mancherlei
Beschwernissen bis hinein ins 19. Jahrhundert zu leiden. In dem heute
beliebten und gepflegten Fremdenverkehrsort fand sich eine stattliche
Zahl von Einheimischen und Urlaubern ein, um hier unter Gottes Wort den
Sonntag zu feiern und die Kantorei zu hören.
Vier anstrengende Tage waren es. Ingo Bredenbach, Petra Siebold und der
Chor hatten viel leisten müssen. Aber das Glücksgefühl
war groß, hatte jeden Mitfahrenden erreicht und wird noch lange
andauern.
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