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Aus dem Schwarzwälder Boten vom 3. August 2011 Nagold. Unter dem Motto "Barock am Bodensee" ging es pünktlich
zum Ferienbeginn mit der Evangelischen Kantorei Nagold diesmal an den
Bodensee. Die guten Verbindungen zu befreundeten Kantoren der KMD Eva
und Peter Ammer erlaubten es, Konzerte in Tiengen und Baitenhausen bei
Meersburg zu veranstalten. Ulrich Mansfeld
Unser KHB hat auch in diesem Jahr wieder einen Reisebericht verfasst, der interessierten Lesern nicht vorenthalten werden soll. Chorfahrtzeit zieht ins Land. Wohlig wummernd wartet der Volvowagen
auf dem Weiss & Nesch - Firmengelände. Es ist der 28. Juli 2011,
und wir gehören zu den ersten Fahrgästen von der Kantorei Nagold.
Nachdem wir die beiden Sängernester im Tal ausgeräumt und aufgenommen
haben, die Kofferhalden der Frauen bringen uns schier außer Puste,
brausen wir bereits der Blauen Mauer des Seppe, der Schwäbischen
Alb, entgegen. Fernziel ist Singen am Halunkenbuckel, wo das BEST WESTERN
auf uns lauert. Aber wir wollen nicht in Singen singen. Singen, singen
die Reifen in den Albaufstiegskurven, werden wir wirklich und wahrhaftig
woanders. Ich komme noch darauf zurück, liebe Freunde in aller Welt,
von der Zauche bis zum Barnim, vom Teltow bis nach Zschetzsch, von Uba
Luba bis nach Ushuaia. - Am Lochenstein haben wir den Pass erreicht. Hierher,
zum Lochengründle, ging mein erster Schulausflug von Reutlingen aus.
Fossilien suchen. Mann, was für eine Offenbarung ! UND ICH HABE VIEL
GEFUNDEN !! In den fruchtbaren Böden Mecklenburgs war da kaum etwas
zu holen. Noch heute bin ich meinen Reutlinger Lehrern sehr dankbar, dass
sie mich so behutsam in das Wunderreich der Geologie eingeführt haben.
Was für eine spannende Welt! Und da nervt man die Menschen mit Krimis
!! - Unnahbar steht der Plettenberg, einer der Tausender der Alb, in seinem
zauberblauen, die Maler zur Verzweiflung bringenden, Häs am Wege
und hält seinen Turm vor sich wie ein Priester das Kreuz. - Im Tal
der Oberen Bära geht es bergab. Die echten und die Schiergartausender
des Jura stehen Spalier. Sie sind nicht wirklich misstrauisch, aber es
ist doch gut, informiert zu sein, wohin diese fröhliche Gruppe fährt.
- Hinter Nusplingen stößt die Untere Bära zur Oberen,
und hier, zwischen Staufen-Berg und Hohe Hülbe bietet sich dem Sängerauge
eine Flußwaldtalauenlandschaft von unglaublicher Vielfalt und Wildheit.
Da kann der Amazonasurwald einpacken. - Sollte die junge Donau wirklich
eines Tages dem Charme und den Verlockungen des Rheins erliegen, die Versinkungstage
nehmen an Zahl unaufhörlich zu, dann wird dieses Bära - Flusssystem
ein würdiger Erbe sein. - Der Volvo klimmt über einen kleinen
Bergzug, und dann sehen wir Beuron tief unter uns im SCHWÄBISCHEN
CANYON einladend und Frieden ausstrahlend liegen. - Bruder Maurus führt
uns durch die liebliche Barockkirche und gibt gute Auskunft über
die Kunst der BEURONER SCHULE. Prassede und Trastevere, Byzanz und sogar
Assur haben ihre Fingerabdrücke hinterlassen, und selbst hier im
OBEREN DONAUTAL ist die assyrischhafte Engeldarstellung von fesselndem
und heilig anrührendem Zauber. Mir gefallen besonders ihre beiden
Lebensregeln GOTT ZUERST und BRÜDERLICHES MITEINANDER. Nachdem wir am Knopfmacherfelsen mit seinem Märchenblick in den
Schwäbischen Canyon das Hardtfräulein verdammt haben, das den
Knopfmacher in bodenlose Tiefe stürzen ließ, lassen wir uns
von den Gedanken an die schöne Lau mit ihren schwarzen Haaren und
leuchtend blauen Augen versöhnen. Sie wohnt zwar im Blautopf bei
Blaubeuren, diese schönste Frau des Schwabenlandes, guckt aber sicher
hier auch nach dem Rechten und tut niemandem etwas. Schon sind wir in
Engen. Engen, Tengen, Blumenfeld sind die schönsten Städt´
der Welt. Wir bummeln durch die anmutige, völlig restaurierte Altstadt
auf dem Bergsporn, vespern und freuen uns über die harmonische Fahrgemeinschaft
und das gute Wetter. - Immer weiter steigt der Bus in den Hegau hinunter.
Hohenhewen, Hohenstoffeln, Mägdeburg und Hohenkrähen eskortieren
unseren Volvo, und Josef liefert uns heil am Knie des Hohentwiel, der
größten dieser Vulkanruinen ab, von wo aus man in kurzer Zeit
auf dem Gipfel ist. In voller Größe guckt der strubbelhaarige
Hohenkrähen zu uns hinüber, und ich bin mir ganz sicher, dass
ich auf seiner Mauer den Poppele gesehen habe, den allerhand Schabernack
treibenden Hegaugeist. - Im Nu ist das Zimmer in Singen erobert, das Essen
eingenommen, sind Getreidekaltschale und BADISCHER WEIN bestellt, und
dann rollt der BUNTE ABEND nach alter Väter Sitte von Biesenthal
bis zur Lore vom Chore, dass der Kantorei das Herz im Leibe lacht. - Ein
neuer Tag erhebt sich über Singen am Hohentwiel. Diesig dräut
Dunst ! Aber schon auf der Schiffslände scheint die Sonne, färbt
Himmel und Wasser blau und treibt unsere Stimmung in Psalm 111 - Höhen.
Ein Schiff wird kommen. Es naht majestätisch, und im Rat der Frommen
fahren wir und viel Volks Stein am Rhein (für Wirtschaftsführer:
Stone on Rhine) entgegen. Sagenhafter Sonnenschein! Selbst Sänger,
die schon seit vierzig Jahren in der Kantorei singen, können sich
nicht an ähnlich intensives Wirken unseres Zentralgestirns erinnern.
- In Stein haben wir viel Zeit. Sängerfüße erklimmen die
Burg Hohenklingen, Sängermägen genießen BADISCHEN WEIN
und edelste Gerichte der Oberrheinregion, und ich richte es mir am Fluss
gemütlich im Schatten ein, schaue dem beruhigenden Fließen
des Wassers zu und denke an Schubert und Goethe: Seele des Menschen, wie
gleichst du dem Wasser, Schicksal des Menschen, wie gleichst, wie gleichst
du dem Wind. - Betörend duften Rosen und subtropische Flora in den
Vorgärten dieser klimatisch so bevorzugten Gegend. Aber auf dem Friedhof
erfährt man, dass auch hier keine volle Sicherheit herrscht. "Im
Februar ´45 hat ein Flugzeug unser Städtchen bombardiert. Neun
Menschen fanden den Tod." - Unsere Luftwaffe war das gewiss nicht,
denn die Schweiz war neutral, und wir hatten keine Flugzeuge mehr.- Nach
diesem Tag im Garten Eden (Und Gott pflanzte einen Garten jenseits von
Singen...) bringt uns Josef in liturgischer Eile zu unserem ersten Singort,
nach Tiengen. Marianne sagt zu Manuela: Na, dann wollen wir mal! - Und
siehe ! In der ansehnlich gefüllten hellen und froh stimmenden Kirche
geht ein Singsturm nieder, dass die Heide wackelt. Uwe und seine Mannen,
der eichenstählerne Westbass, die fantastischen Frauen von Südalt
bis Nordsopran legen ein CONCERTO in die ehrwürdigen Thumbhallen,
dass noch manche Generation davon singen und sagen wird. Und es wurde
ganz still.....bis brausend brandender Beifall von der Begeisterung der
Tiengener kündet. - Beim Podesteinladen höre ich, wie Gabi zu
Dorothee sagt: Beeindruckend! - Recht hat sie. Wir alle sind froh, dass
wir diesen Gesang nach dem Reiseschlauch zweier Tage sooo gestalten konnten.
War es die Sonne, die uns so beseelt hat? Ich will doch mal bei Rudolf
Steiner nachlesen. Der Mann hat dazu sicher etwas zu sagen. - Als wir
durch den von der Abendsonne erhellten Klettgau nach Hause fahren, gehen
mir die Orgelklänge unseres koreanischen Organisten immer und immer
wieder durch den Sinn. Dieser Künstler war noch nicht geboren, als
mein Vater ins Haus kommt und ruft: In KOREA ist Krieg. - Wir hatten ihn
doch gerade hinter uns. Keiner wusste, wo dies Land liegt. Die Soldaten
verwechselten es mit dem ihnen gut bekannten Kreta. Hoffen wir doch, dass
das Elend der Spaltung auch dort bald ein Ende hat. - Uli eröffnet
den neuen Tag mit einem bemerkenswerten Spruch: Einzig den Humor muss
man ernst nehmen. Alles andere lässt sich mit Humor ertragen. Die
EKANA macht die Reichenau unsicher. Und siehe! Ein herrliches Wetter breitet
sich über dem Bodensee aus. Hier auf der Reichenau, einer Moräne
des Rheingletschers, trifft Nagolder Geschichte den Reisenden. In den
Kräutergärten gibt es Gelegenheit zu ruhigen und ungestörten
Gesprächen, die im normalen Chorbetrieb leider (!) viel zu kurz kommen.
Musik hin oder her; was zählt, ist der Mensch. Danke, ihr Kräutergärten,
danke, lieber Hans, für die prächtige Kräutergartenruhe
auf der Reichenau. - In unauslöschlicher Erinnerung wird mir bleiben,
wie die Schwestern Kathrin und Mirjam markigen Blickes über die Grabplatte
Karls III. neuen Zielen zustreben. - Die Fähre bringt Bus, Bagage,
Brummbass und Restkantorei nach wonniglicher Überfahrt sicher nach
Meersburg. Und siehe ! Keine Welle ging über das Schiff, und niemand
stand in großer Gefahr. Die Sängerschar sickert in alle Gassen
und Winkel und genießt die Bodenseewelt. Wir treffen uns mit guten
alten Freunden, die halt weit hinter der BLAUEN MAUER friedlich hausen,
genießen vom Café Weisshaar hoch am Himmel den See und sein
Oberflächenleben und sind so froh, wie Blücher war bei Waterloo.
- Durch einen Weinlaubtunnel steigen wir die hundert Stufen in den Touristentrubel
hinab, um mit Josef neuen Ufern in würdigem Wallen entgegen zu eilen.
- Die Wallfahrtskirche Maria zum Berg Karmel in Baitenhausen wartet schon
auf uns. Die Erbauer haben seinerzeit die Ausmaße moderner Reisebusse
schwer unterschätzt. Wir keuchen - notenbeladen - eine Art Kalvarienberg
hinauf, und siehe! Als wir die Höhe erreichen, steht ein Engel vor
der Kirche. Nicht Gabriel mit dem Flammenschwert, nein, ein Mädle
im Hochzeitsfeierkleid. Wenn das kein gutes Omen ist !!? Hoch über
dem Ort reckt sich das Kirchlein. Man kann über das ganze Salemer
Tal sehen. Rudolf von Rodt soll sie zum Dank für seine Errettung
aus Seenot gestiftet haben. Na, da liegen wir mit unserem Seesturm von
Siegfried Strohbach ja richtig. Und dann gibt es für mich eine riesige
Überraschung. Meine ehemalige Schülerin Laetitia, die 1962 zu
mir in die erste Klasse kam, ist heute - ebenso wie unsere Freunde aus
Ochsenhausen - unter den Zuhörern. Fünfzig Jahre (!) habe ich
sie nicht mehr gesehen, und dann gibt es Mächte, die so ein Treffen
wieder möglich machen!! - Bei soviel Ansporn haben wir natürlich
gesungen wie die Heidelerchen! Hei, wie der Alt sonores Souterrain ausbreitete,
wie der Sopran in höchste Lagen kletterte, der Tenor höhenmäßig
Eiger, Jungfrau und Mönch weit unter sich ließ, wie der Bass
im Tiefbauamt auch die abgründigen Kellerstellen meisterte!! Ja,
in Baitenhausen hat es uns Laune gemacht zu singen. Natürlich singen
wir in erster Linie für uns selbst, aber in diesem kleinen Kirchlein
schien es uns so, als wenn wir uns miteinander eingehakt hätten und
wie ein Quartett gemeinsam musizieren würden. Wir vom Westbass hörten
alle unsere liebgewordenen Stimmen und steuerten mit Verve unseren Teil
dazu bei, damit das Ganze auch gelänge. Dunkles Weben wehte vom Alt
herüber, wie ein achtfacher Satz von Sopranino - Saxofonen (Glenn
Miller) lachten uns die Soprane an, und die Posaunen lieferte der sich
tapfer behauptende Tenor. Mein lieber Schwan, da hatte man teilweise den
Eindruck, dass sich die Farben des kleinen Gotteshauses vom Staub befreiten
und ins Sonntichshäs schlüpften. Und das ganz besonders hohe
C des Capri - Fischers gelang mir nur so gut, weil ich Ingrid, Laetitia
und meinen Freund Charles unter den Zuhörern wusste.
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