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Kritik von Werner Zintgraf zum Konzert am 10.11.1985
Schütz-Exequien haben stark beeindruckt
Uraufführung eines Triptychons von Kantor Gerhard Kaufmann in der Nagolder Stadtkirche

Nagold. Außer dem Landgraf Moritz von Hessen hatte der am 6. November 1672 im Alter von 87 Jahren gestorbene Komponist Heinrich Schütz auch in Fürst Heinrich von Reuß einen starken Förderer gefunden. Beide respektierten auch den selbstbewussten, von mehreren Hofhaltungen begehrten, furchtlos für die soziale Sicherung seiner Musiker sich einsetzenden Künstler als ebenbürtigen Partner.
Alfred Einstein nannte ihn einmal den "geistigsten Musiker" in unserer an bedeutender Persönlichkeiten gewiss nicht armen Musikgeschichte. Dennoch geriet er in Vergessenheit, die protestantischen Kirchenmusiker wussten nichts mit ihm anzufangen. Erst die Jödesche Singbewegung holte sein Werk wieder aus der Versenkung hervor. Auch wer die "Musikalischen Exequien" nicht zu den bedeutendsten Schöpfungen dieses Heinrich Schütz zählen will - deren Aufführung in der Stadtkirche, fast auf den Tag 313 Jahre nach seinem Tod, ließ zumal nach vorausgehörten Werken erneut erkennen, welchen haushoch überragenden Rang Schütz im Vergleich zu seinen Zeitgenossen erreicht haben musste.
"Musikalische Exequien, wie solche bey herrlicher und hochansehnlicher Leichbestattung des weylandt Hochwolgebornen Herrn Heinrichen des Jüngeren und Eltisten Reußen, Herrn von Plauen, Röm.-Kays.Majt. gewesenen Rahts, Herrn zu Bretz, Cranichfeld, Gera, Schleitz und Lobenstein etc. nunmehr christseligen Andenkens Jüngsthin den 4. Monatstag Februari zu Gera vor und nach der Leichpredigt gehalten und ihrer wolsehligen Gnaden, bey dero Lebzeiten wiederholten begehren nach, in eine stille verdackte Orgel angestellet und abgesungen worden, mit 6. 8. und mehr Stimmen zugebrauchen, auch mit beygefügten zwiefachen Basso Continuo dem einen vor die Orgel, dem andern vor den Dirigenten oder vor den Violen, bey welchem vorher ein absonderlich Verzeichnis, deren in diesem Werklein begriffenen musicalischen Sachen, samt den Ordinantzen oder Anstellungen an den gönstigen Leser, zu befinden. Zu untertänigem letzten Ehrenbedächtnis auff begehren in die Music versetzet und in Druck gefertigt durch Heinrich Schützen. Churf.Sächs.Capell Meistern. Bedruckt zu Dreßden bey Wolff Seyffert im Jahr 1636."
So also der Text des Titelblattes zu den "Sprüchen heiliger Schrift und Gesätzlein christlicher Kirchengesänge, welche Ihre Gnaden bei Lebzeiten auf ihren insgeheim angeschafften Sarg auf dem Deckel und auf beiden Seiten auch zu Häupten und Füßen verzeichnen und schreiben lassen, aufgesetzet in Form einer deutschen Missa" wie Schütz berichtet, der für seinen eigentlichen Landesherrn des thüringischen Fürstentums Reuß-Gera auch noch ein Nachruf-Gedicht verfasste. Die vorreformatorischen Exequien selbst bilden einen dreiteiligen Ritus: Überführung des Leichnams in die Kirche, die Meßfeier, die Prozession zum Grabe.
Die Nagolder Kantorei, auf fast 80 Mitglieder aufgestockt, glänzte bei deren Wiedergabe mit sorgfältig einstudierten Partien, auch in der Doppelchörigkeit des vorletzten Satzes "Herr, wenn ich nur dich habe" und im Wechselgesang des Finales "Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren" mit einem Fernchor auf der Empore, der mit den Versen "Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben" antwortete.
Recht eindrucksvoll auch die Einlagen vom Solo bis zum Sextett, angeführt von den beiden Tenören Bernhard Scheffel und Berthold Schmid, dem Contratenor Herbert Klein, dem sonoren Bassisten Achim Jäckel, der Altistin Marina Sandel, der Sopranistin Gudrun Schmid und als siebter im Bunde der Nagolder Bassist Hans-A1bert Zutavern. Ein in jeder Hinsicht zuverlässiger Begleiter auf der Truhenorgel war
wieder einmal Rudolf Schmid. Mit zu den schönsten Partien darf man das Quartett für Altus, zwei Tenöre und Bass "Herr, wenn ich nur dich habe" und ebenso das Bass-Duett "Unser Leben, währet siebenzig Jahr" zählen.
Diesen von Gerhard Kaufmann gut organisierten und so nachhaltig auf die vielen hundert Zuhörer wirkenden Exequien vorgeschoben war die Trauermusik "Unser Leben ist ein Schatten auf Erden" für sechs Chorstimmen und Terzett (als Fernchor) des Johann Bach (1604-1673 Erfurt), dem Ältesten der komponierenden Bach-Dynastie, wobei der verhallen sollende Schlusseffekt "gelehrt, reich, jung, alt oder schön, müssen alle davon" noch nicht recht geraten war.
Dem "Gott, der Vater, wohn uns bei" sowie "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen" für zwei Tenöre und Orgel vom Schütz-Zeitgenossen Johann Hermann Schein fehlte es an Dynamik und Ausdruck. Das trifft auch für die Motette (in kleiner Chorbesetzung) "Ein feste Burg ist' unser Gott" von Melchior Vulpius (1560-1615) zu. "Wachet auf, ruft uns die Stimme"' von Michael Prätorius erhielt schon durch die Instrumentalbegleitung lebhaftere Farben. Doch.einschließlich der Instrumentalvariation "Ein feste Burg" nach Lukas Osiander (1534-1604) blieb dieser ganze erste Teil des Konzertes matt, wurde mehr als unumgänglicher Füller empfunden, machten sich auch stimmbildnerische Mängel bei den Sopranen bemerkbar.
Gerhard Kaufmann steuerte zum Trauermonat November wieder mal eine Uraufführung bei mit einem "Lied-Triptychon" für Alt, zwei Tenöre und Instrumente. Das erste Lied "Gleichnis" (Gras unterm Schnee, du bist dunkelgrün) auf eigene Texte für Alt, Violine, Viola, Orgel, weist ungewöhnlich lange Vor-, Zwischen- und Nachspiele auf, die Assoziationen zu Gustav Mahler auslösen.
Das zweite, eine Totenklage für zwei Tenöre, vierstrophig nach Psalmworten zusammengestellt, ist eine (fast) typische Kaufmann-Grübelei über das Thema: unbegreiflicher, unerforschlicher, unbeweisbarer, unvergleichlicher Gott - und was ist der Mensch dagegen? Hier ergeben sich allein schon durch die Instrumentierung interessante Aspekte: Pauke, Gong, Stab, Streicher, Bassklarinette mit Sopranflöte, drei tiefere Blockflöten mit Orgelecho.
Das dritte Lied "Schlummerfrist" (Lüft mir den Vorhang, dass ich möge künden das Schicksal) nach Versen des von Hermann Hesse sehr geschätzten Warmbronner Dichters Christian Wagner, für Alt und zwei Tenöre, erfährt durch das Instrumentarium noch eine Steigerung, klingt dann in einer Vergänglichkeitsstimmung aus, um auf das erste Lied "Gleichnis" in einer neuen Variation zurückzuführen.
Zwei kompositorische Elemente dominieren: die Litanei und die damit verbundenen ostinaten Motivwiederholungen, aus denen reizvolle Kantilenen für die Singstimmen und besonders für die Viola aufblühen. Im Ensemble des SDR-Konzertmeisters Albrecht Bossen (darunter auch die Nagolder Blockflötistin Dorothee Fezer) hatte Gerhard Kaufmann neben Marina Sandel, Bernhard Scheffel und Berthold Schmid auf seine Intentionen engagiert reagierende Mitstreiter, sowohl für die Unterstützung der Chorpartien als auch für seine neueste Kreation gefunden, die von den Zuhörern sicher mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde.

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