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aus dem Schwarzwälder Boten vom 7.12.1989
Vielchöriges Musizieren aus allen Richtungen
Raummusik in der Stadtkirche Nagold mit Heinrich Schützs „Weihnachtshistorie”

Nagold. Die Evangelische Kantorei musizierte zum Beginn des Kirchenjahres und zum 1. Advent geistliche Musik von Heinrich Schütz, Samuel Scheidt, Giovanni Gabrieli und Johann Hermann Schein. Bezirkskantor Ingo Bredenbach (Nagold) hatte ein wohldurchdachtes Programm zusammengestellt, in dessen Mitte die „Weihnachtshistorie” von Heinrich Schütz (1585) stand, während die anderen, fast gleichaltrigen Meister (Giovanni Gabrieli, um 30 Jahre älter, ausgenommen) den Rahmen, die Vorbereitung und den Ausklang bildeten. So hatte Ingo Bredenbachs Programmkonzept zugleich auch einen theologischen Hintergrund, auf dem sich Weihnachtsgeschehen heranbildet und abspielt. Man kann sich eine glücklichere Weihnachtsmusikgestaltung kaum vorstellen, und das liebevolle und informativ geschriebene und zusammengestellte Programmheft gab weitere interessante Hinweise auf den Konzertabend, die musikalischen Werke und die Interpretation.
Raummusik, so nannte Bredenbach den Konzertcharakter dieser Werke: Mehrchörige Motetten und Geistliche Konzerte, im Frühbarock als Abbild des Musizierens einer vorgestellten »Himmelcantorey« gedacht. Da erlebte man zum Teil von vier Seiten antiphonisches (griechisch = »gegenstimmiges«, Wechsel zweier Chöre) und responsorisches (lateinisch = »antwortendes«, Wechsel von Solo und Chor) Musizieren, das gewiss nicht einfach zu organisieren und zu realisieren war.
Aber Ingo Bredenbach gelang es, mit Umsicht die räumlichen Probleme spielend zu meistern. Die evangelische Stadtkirche Nagold war vom vielchörigen Musizieren aus allen Himmelsrichtungen erfüllt. Gelegentlich gab es zwar hierbei winzige Unsicherheiten (in Scheidts Motette »Nun komm, der Heiden Heiland« bei den hohen Frauenstimmen und in Gabrielis »Magnificat« bei den tiefen Männerstimmen), aber es erstaunte doch den Zuhörer zu erleben, dass die Evangelische Kantorei Nagold auch in dreifach geteilten Chören präsent, tonrein und sicher zu singen wusste. Da war ganz offensichtlich jeder einzelne Sänger hoch gefordert, aber das Ergebnis war über alle Maßen hörenswert.
Bredenbach ließ sehr textintensiv, sauber und betont artikuliert singen, das Musizieren war stets transparent, wozu auch die hervorragend mitgehenden und aufmerksamen Instrumentalisten beitrugen (Gerd-Uwe Klein und Sylvia Dierig, Violine, Annette Klein, Viola, Hans-Josef Groh, Violoncello und Ute Grewel, Kontrabass, intonationssauber und präzis im Zusammenspiel; Martin Schmelcher und Christian Nägele, Trompete, sowie Johannes Stortz und Klaus Herrmann, Posaune, mit großer Akkuratesse und bläserischer Disziplin, besonders wohllautend Katharina Wulzinger und Antje Rink, Blockflöten, sowie Elke Filthut, Dulzian; und an der Orgel bzw. am Cembalo sicher und klug registrierend Christian-Markus Raiser, Immanuel Rössler und Rudolf Schmid).
In diese großartige Harmonie von Instrumentalisten und Choristen fügten sich bruchlos die Solisten ein: Sabine Leppin (Sopran), Frauke Bethge (Alt), Sibrand Basa (Tenor) und Anselm Richter (Bass). Die vier Solisten bildeten ein homogenes Ensemble, aus dem sich Sibrand Basa als Evangelist besonders hervorhob, zudem diese Partie auch zugleich die umfangreichste war. Seine Tenorstimme ist wahrlich prädestiniert für eine solch große Aufgabe, vermochte er doch unter Bredenbachs Leitung einen beredten, ausdrucksstarken, prononzierten Evangelisten darzustellen.
Bredenbach animierte stets zu affektbestimmtem Musizieren und Singen, wie es Brauch der Zeit war. Da kommt das »Jauchzet« oder das »Weinen, Klagen, Heulen« voll bis zum Zuhörer, der sich am Ende der eindrücklichen Musik nicht traute, Beifall zu klatschen, was sicher die Ausführenden gefreut hätte und hochverdient gewesen wäre. Selten erlebte man eine derart intensive Darstellung der Musik dieser frühbarocken Zeit, die durch Bredenbachs blutvolle Interpretation plastisch und lebendig wurde.

Siegfried Gemeinhardt

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