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aus dem Schwarzwälder Boten vom 12.4.1995

Außergewöhnliche Leistung bei der Matthäuspassion

Die drei Solisten überraschten in Nagold und Grömbach mit homogenem Klang - Aufführungen fügten sich zu kunstvollem Ganzen

Nagold. Die Evangelische Kantorei Nagold hat in der Evangelischen Kirche in Grömbach und in der Stadtkirche Nagold die Matthäuspassion von Heinrich Schütz aufgeführt. Eingerahmt war die Passionsmusik stilgerecht von zwei Vertonungen des 116. Psalms. Eingangs erklang die Version von Heinrich Schütz, ausgangs die etwas weniger schwierige von Johann Hermann Schein, die von Assistentin Dorothee Ludwig engagiert dirigiert wurde.

Dass Heinrich Schütz seine drei Passionen im hohen Alter als A-cappella-Konzerte komponierte, erklärt Ingo Bredenbach im informativen und mit Faksimiles schön gestalteten Begleittext mit der damaligen Dresdner Liturgiepraxis, die in der Passionszeit den Gebrauch von Instrumenten und auch der Orgel verbot. Das dürfte dem "evangelischen Ernst" des Komponisten entgegengekommen sein, der, obwohl kursächsischer Hofkomponist, vor allem als Kirchenmusiker hervorgetreten ist. Er hatte das Angebot, in Venedig die Nachfolge Gabrielis anzutreten, ausgeschlagen und war in seine sächsische Heimat zurückgekehrt - obwohl dort die personellen und instrumentellen Voraussetzungen, bedingt durch den 30jährigen Krieg, außerordentlich ungünstig waren.

Die Christusworte sang der in Nagold wohlbekannte Anselm Richter mit einem gleichermaßen samtigen wie auch jugendlichen und männlichen Bass, der die Würde und das Leid eindringlich zu vermitteln wusste. Bemerkenswert sicher, obwohl noch Konzertneuling, vermochte sein Schüler Friedemann Hecht die umfangreiche Rolle des Evangelisten zu gestalten. Mit dosierter Dramatik ohne jede expressive Überspitzung sang er einen gewissermaßen "objektiv" berichtenden Evangelisten, dem es aber durchaus nicht an innerer Anteilnahme mangelte. Mit seiner warmen, modulationsfähigen Stimme führte er die Zuhörer einfühlsam durch die Passionsgeschichte. Die nicht einfache Partie des Petrus und Pilatus sang in schwieriger, altertümlicher Gesangstechnik - die buntesten Tupfer die Partitur - Frank Rompf als Tenor und Altus. Auch er kommt aus der Gesangsklasse Anselm Richters, ein Umstand, der den überraschend homogenen Klang der drei Solistenstimmen erklärt. Weitere solistische Einschübe übernahmen die Chorleiter Dorothee Ludwig und Ingo Bredenbach sowie überraschend sicher und gekonnt auch ein paar Stimmen aus den Reihen des Chors.

Wie hinlänglich bekannt, bringt das A-cappella-Singen erhebliche Probleme bei der Intonation, wobei die Hauptlast beim Evangelisten liegt. Schwierig sind aber auch die Schnittstellen zwischen den solistischen und chorischen Partien. Alles aber fügte sich bei diesen Aufführungen bruchlos und harmonisch zu einem kunstvollen Ganzen. Es zahlte sich hörbar aus, was der Chor in den vergangenen Jahren schon bei früheren Einstudierungen und Aufführungen frühbarocker Musik gelernt und "verinnerlicht" hat. Abgesehen von der sauberen Intonation folgte er elastisch dem gestalterischen Willen Ingo Bredenbachs. Zu loben ist die Sprachverständlichkeit und rhythmische Präzision und die wache und lebendige Anteilnahme bei der Gestaltung des Passionsgeschehens. Da der Chor inzwischen auch allen präzisen agogischen Vorstellungen eines Dirigenten mühelos folgen kann, macht deutlich, dass dieses Ensemble inzwischen eine ungewöhnliche künstlerische Reife erreicht hat. In solcher Qualität vorgetragen, erwies sich diese virtuose Passionsmusik bei aller Strenge des Inhalts und der Form doch auch als leicht und schwebend. So soll die Besprechung verstanden werden als Dank für eine außergewöhnliche Leistung der Kantorei, der Solisten und Chorleiter und als Ersatz für den Applaus, der am Palmsonntag unterbleiben musste.

Klaus Horn

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