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aus dem Schwarzwälder Boten vom 18.12.2010
Und
sie jauchzen und frohlocken
In Nagolds Stadtkirche bekommen Kinder und Jugendliche
einen Einblick in Bachs »Weihnachtsoratorium«
Nagold. Klassische Kirchenmusik für Kinder? Das kann funktionieren.
Gestern morgen erlebten Hunderte Kinder in der Nagolder Stadtkirche Bachs
Weihnachtsoratorium - in kind- und jugendgerechter Kurzfassung.
»Fangt an!« Nichts bewegt sich. Kein Ton ist den Instrumenten
der Musiker zu entlocken. Also beschließt Tilmann Böttcher
kurzerhand nach Hilfe zu suchen - »damit diese Langweiler endlich
anfangen zu spielen.« Und so fragt er in die Runde der Grundschüler:
»Ist zufällig ein Fürst im Saal?« Langsam recken
sich Hände in die Höhe. Gemeinsam schafft man es dann. Nach
einem von den Kindern herrschaftlich-festlich vorgetragenen »Tönet
ihr Pauken. Erschallet Trompeten« greifen die »Langweiler«
dann doch zu ihren Instrumenten: Willkommen bei Bachs Weihnachtsoratorium
für Kinder. Willkommen bei einer echten Nagolder Premiere.
»Jauchzet, frohlocket!« Gleich zweimal hintereinander traten
Sänger und Instrumentalisten gestern auf. Zuerst führten sie
Teile des Weihnachtsoratoriums in einer kindgerechten Version auf. Beim
zweiten Auftritt dann folgte eine jugendliche Werkeinführung in das
bekannteste kirchenmusikalische Werk Johann Sebastian Bachs - letztere
Veranstaltung wurde unter anderem von Musikzugklassen des OHG besucht.
Der Hintergrund zu beiden Veranstaltungen ist klar: Wann haben Kinder
schon die Möglichkeit, einen mehr als 100-köpfigen Chor singen
zu hören? Wann können sie schon einmal einem professionellen
Kantatenorchester lauschen? Wann kommen sie eigentlich mit solch großartigen
klassischen Werken in Berührung?
Dass es in Nagold zu solch einer aufwändigen Kinder-Vorführung
kommt, ist in erster Linie dem Kantorenehepaar Ammer zu verdanken. Seit
Monaten bereiten sie ihre Sänger auf die heutige Aufführung
des Weihnachtsoratoriums vor. Quasi als Nebenprodukt führten sie
zusammen mit dem Texter und Moderator Tillmann Böttcher die Kinderversion
auf. Zu gute kommt den Ammers, dass sie musikalische Netzwerker sind.
Zu sehen ist das bereits
bei den Aufführenden: Die evangelische Kantorei singt da zusammen
mit dem OHG Vokalensemble. Bereits zum zweiten Mal tritt das Nagolder
Kantatenorchester in Erscheinung - ein lockerer Zusammenschluss von Profi-Musikern
aus der Region. Viele von ihnen sind Instrumentallehrer an den Musikschulen.
Auch die Solisten stammen großteils von hier: Jeanette Bühler
(Sopran), Eva-Magdalena Ammer (Alt), Matthias Wurster (Tenor) und Thorsten
Hülsemann (Bariton). Die Gesamtleitung obliegt Kirchenmusikdirektor
Peter Ammer. Und der strahlte gestern nicht nur wegen der Hingabe,
mit der seine Musiker und Sänger auftraten. Auch die begeisterten
Kinder trugen ihren Teil dazu bei.
»Habt Ihr meine Schafe gesehen- - in der Kinderaufführung sorgt
auch ein Hirte für Abwechslung - gespielt in seiner bekannt humorigen
Art
von Rafael Hummel. »Mäh« blökt es da auch mehrfach
aus dem Chor heraus. Und während der Schäfer seine Herde sucht,
erläutern er und Moderator Böttcher ganz nebenbei, was die Kinder
da eigentlich hören, warum Bach die Geschichte überhaupt vertont
hat, aber auch warum der »Erzähler« singt und man das
auch noch Rezitativ nennt. Dabei gelingt der Spagat zwischen lockerer
Erzählweise und ergreifender, festlicher Musik. Immer wieder dürfen
die jungen Besucher mitsingen, zum Schluss werden sie gar zum Tanzen eingeladen.
Entsprechend ungewöhnlich laut, sogar mit Pfiffen, Tram-
peln und Jubelrufen garniert, fällt der Applaus aus - wie es eben
klingt, wenn man Kinder begeistert hat.
Heiko Hofmann





Fotos : Hanns Lichtenberger
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