Karfreitag,
30. März 2018, 9.30 und 15 Uhr, Stadtkirche Nagold Kritik aus dem Schwarzwälder Bote vom 3. April 2018 Wahrscheinlich war es eins der größten und aufwändigsten
musikalischen Ereignisse, die Nagold jemals gesehen hat - und vielleicht
sogar eine Uraufführung: Von Sebastian Bernklau Das Besondere war spürbar an diesem stillen Karfreitagsmorgen in der voll besetzten Stadtkirche als Peter Ammer den Stab hob. Ruhig und gemessen, aber auch mit einem gewissen Wiegen des Zwölfachteltakts stimmten das zweigeteilte Orchester und der gleichfalls doppelte Chor das "Kommt ihr Töchter, helft mir klagen" an, dessen erschütternde Majestät in Frage und Antwort, rechts und links, vom Choral "O Lamm Gottes unschuldig" des Kinder-Favoritchors überwölbt wurde. Auf besondere historische Extras etwa der Instrumente hatte der Bezirkskantor ansonsten verzichtet und ließ die drei Ebenen von Evangelienerzählung über Leiden und Sterben Jesu, den erbaulichen Arien nach den barocken Dichtungen Picanders und den betrachtenden Chorälen ganz für sich sprechen. Bei diesen Liedern allerdings - und das war ein Teil dieser ganz neuen Aufführung - stimmte die Gemeinde in weitere Strophen mit ein. Das freihändige Einfügen etwa eines weihnachtlichen Paul-Gerhardt-Chorals mag ein künstlerisches und theologisches Wagnis gewesen sein, passte aber zu dem Konzept, Bachs Matthäus-Passion aus der bloßen Konzertform heraus in die Liturgie, in Predigt und Gebet einzubetten. Die Erwartungen an eine besonders hohe musikalische Qualität erfüllten dabei alle Beteiligten vollkommen. Nichts wirkte in den gut vier Stunden Dauer des riesigen Werkes unfertig oder unsicher. Nahezu nichts wackelte auch nur oder ging gar schief. Es schien, als hätte die Größe des Plans, der Geist dieser ganz besonderen Aufführung allen Instrumentalisten, Chorsängern und Gesangssolisten zusätzliche Kraft und Konzentration gegeben. Den Kindern des Projektchors reckte der Dirigent als Zeichen höchsten Lobes den Daumen zur Empore hin. Mitkantorin Eva-Magdalena Ammer war nicht nur intensiv in die Probenarbeit einbezogen, sie hatte unter den Gesangssolisten auch die höchst anspruchsvolle Altpartie übernommen. Im Orchester wirkte wie immer das Ehepaar Margret Hummel als Konzertmeisterin und Musikschulleiter Florian Hummel (Viola) mit. Der betont schlichte und ungekünstelte, vibratoarme Vortrag der Kantorin, der ganz dem geltenden Trend entspricht, war auch Leitbild für die anderen Solisten: für die junge, eher dunkler gedeckt und nach innen gewandte Sopranistin Cornelia Fahrion, für die leichte und lyrische Tenorstimme von Hitoshi Tamada in der kraftraubenden Evangelisten-Partie sowie die beiden ebenfalls eher baritonal hell timbrierten Bässe Thomas Scharr (als Jesus) und Christian Fischer. Der zweigeteilte Chor war ganz ausgezeichnet vorbereitet. Mit seiner bis in die Seitenschiffe reichenden Größe ließ er auch den akustischen Effekt der doppelchörigen großen Stücke am Anfang, in der Mitte und am Ende der Passion besonders gut hörbar werden. Aber auch in den dramatischen Volkchören der sogenannten Turbae oder den wunderbaren Chorälen machten die Sängerinnen und Sänger der Kantorei ihr ganzes hohes Engagement hörbar. Es klang durchweg so, als seien sich alle Mitwirkenden zu jedem Augenblick der herausragenden Größe dieser ganz eigenen, bisher wohl nur in Nagold in dieser Art musizierten Matthäus-Passion bewusst gewesen. Gerade auch die Kinder werden noch lange erzählen können, dass sie dabei gewesen sind bei einem herausragenden Ereignis der lokalen Nagolder Musikgeschichte. Die teils sichtlich bewegten Besucher drückten ihren tiefen Respekt durch eine beeindruckend lange Stille aus, um die gebeten worden war.
Nagold. Wie erklärt man Kindern, was Passion ist oder wie ein Passah-Mahl
gefeiert wird? Kinder wurden über Schulchöre, die Zeitung und persönlich eingeladen, das größte Werk Bachs mitzusingen und zu erleben. So kamen mehr als 50 Kinder aus dem ganzen Kirchenbezirk und darüber hinaus ins Zellerstift: einerseits, um die Choräle zu lernen, die sie am Karfreitag bei der Aufführung der Bach'schen Matthäus-Passion mitsingen werden, und andererseits um an diesem Tag ein Verständnis zu bekommen für das Passionsgeschehen. Friederike Börries und Theresa Reinhardt studieren beide Theologie und entwickelten für diesen Tag gemeinsam einen Kinderkreuzweg mit sechs Stationen und führten die Kinder durch die Stationen, jeweils abgeschlossen mit Gebet und Choral. Die erste Station - das Abschiedsmahl Jesu von seinen Jüngern - wurde nach der ersten Probe und einer Brezelstärkung im Zellerstift erzählt. Nach dem nächsten Probenteil dann die zweite Station "Jesus am Ölberg", und dann ging es auf den (Kreuz-)weg in den Schulhof des Otto-Hahn-Gymnasiums. Dort war die nächste Station "Jesus leidet unter dem Kreuz". Dann ging es weiter: die Stufen zur Stadtkirche hoch waren sinnbildlich für Jesu Leidensweg nach Golgatha - die Last des Kreuzes, die steilen Stufen hinauf und die Hilfe durch Simon von Cyrene waren das Thema der vierten Station auf dem Kirchplatz. In der Stadtkirche fanden die Kinder viele Kreuzdarstellungen, bevor an der fünften Station Jesu Kreuzigung erzählt und gedacht wurde. Nach einer weiteren Probenphase und Wiederholung des Erarbeiteten wurde an der sechsten Station über die Passion hinaus der Ausblick auf Ostern und Jesu Auferstehung und die damit verbundene Hoffnung formuliert. Pfarrerin Esther Betz-Börries veranschaulichte mit einer Präsentation das Wesen und die Speisen des Passah-Mahls: Mazen, Apfelmus, Sellerie, Ei, Petersilie, Salzwasser und Traubensaft sind Symbole der jüdischen Passah-Geschichte. Diese konnten die Kinder an vorbereiteten Tischen ausprobieren, was sie dann interessiert und mit großem Ernst und Freude auch taten. Zum Abschluss des Kinder-Matthäus-Passionstags standen die Kinder an dem Ort, von welchem aus sie am Karfreitag im Eingangs- und Schlusschor als Kinderchor mitwirken: der ersten Reihe der Empore. Die 50 passen wie abgezählt genau in die Bänke über den Köpfen der Gemeinde und werden so mit besonderer Präsenz den Choral "O Lamm Gottes unschuldig" zu den bei den Chören und Orchestern dazu singen. Es war erstaunlich, wie die Sechs- bis 13-Jährigen konzentriert
und engagiert die vier Stunden mitmachten. Initiator Peter Ammer war voll
des Lobes und freut sich auf die Generalprobe und den Gottesdienst am
Karfreitagmorgen, der den Kindern sicherlich in Erinnerung bleiben wird
- wie auch dieser erlebnisreiche Tag mit dem Kinderkreuzweg.
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